
Ich bin Sozialarbeiterin der Hoppenbank und durfte heute wieder mit einem schönen Anliegen in die Justizvollzugsanstalt Bremen.
Heute war wieder „Game with Mum and Dad“, ein Spiel- und Begegnungstag für Inhaftierte und ihre Kinder. Vier Stunden, in denen Väter, die hier einsitzen, einfach nur Papa sein dürfen. Keine Gitter, keine Uniformen, kein Urteil im Raum — nur Lachen, Bewegung und Nähe.
Ich stand am Rand der Turnhalle, die die Justizvollzugsbeamten toll hergerichtet hatten, mit verschiedenen Spielen, Bällen, Matten, , Malsachen und einem großen Trampolin in der Mitte. Es roch nach Turnhallenboden und Kinderlachen.
Gerade öffnete sich die Tür, durch die die Familien nach der Sicherheitskontrolle eingelassen werden. Ich sah ein kleines Mädchen – zierlich, mit ihren drei Jahren noch etwas wackelig auf den Beinen. Sie trug ein Prinzessinenkleid ganz in Rosa und Tüll und hielt in der einen Hand einen kleinen Koffer mit einem Stethoskop, einem Fieberthermometer und Pflastern. Diesen hat sie von Ihren Großeltern zum Geburtstag bekommen und möchte ihn nun ihrem Papa zeigen
Dann sah sie ihn.
Er stand am anderen Ende der Halle, still, das Gesicht ausdruckslos, fast kalt. Als wäre er eigentlich falsch hier in der Turnhalle. Aber in dem Moment, als seine Tochter ihn entdeckte, war nichts mehr von Härte übrig. Er ging in die Knie, breitete die Arme aus – und das Mädchen rannte los. Ihre kleinen Schuhe quietschten auf dem Boden, während sie ihm in die Arme flog.
„Papa!“
Er drückte sie so fest, als wollte er sie nie wieder loslassen, vergrub sein Gesicht in ihrem Lockenkopf. Ich konnte sehen, wie seine Schultern zitterten. Tränen standen in seinen Augen.

Die nächsten Stunden verflogen. Ich beobachtete, wie die beiden das Trampolin eroberten. Die Kleine sprang, lachte, verlor beinahe das Gleichgewicht, doch er fing sie jedes Mal auf. Dann trug er sie Huckepack durch die Halle, galoppierte wie ein Pferd, während sie quietschend vor Freude „Schneller, Papa!“ rief.
Später saßen sie an einem kleinen Tisch. Das Mädchen malte mit konzentrierter Stirn ein Bild – viele bunte Striche, ein paar Kreise – und klebte mit größtem Ernst Dinosaurier-Sticker darauf. Als sie fertig war, überreichte sie ihm das Bild. Er nahm es mit einer solchen Ehrfurcht entgegen, als hätte sie ihm ein Vermögen geschenkt. Vielleicht hatte sie das auch.
Ich trat kurz zur Seite, als mich die Mutter des Mädchens ansprach. Eine ruhige, freundliche Frau, deren Augen müde, aber warm wirkten.
Sie sagte zu mir:
„Ich wollte mich wirklich bedanken. Diese Veranstaltung… Sie bedeutet uns so viel. Mein Mann und unsere Tochter… Sie brauchen diese Zeit miteinander.“
Ich nickte.
„Und ich hab mich richtig gut mit den anderen Müttern unterhalten“, fuhr sie fort. „Man fühlt sich sonst oft so allein mit all dem. Aber heute… war schön.“
Ich lächelte. Das war es.

Gegen Ende begannen wir langsam, die Familien auf die Verabschiedung vorzubereiten. Ich hasse diesen Teil. Nicht nur, weil Kindertränen fließen — sondern weil die Erwachsenen versuchen, stark zu bleiben, obwohl es ihnen das Herz zerreißt.
Die Kleine im Prizessinenkleid hatte sich an ihren Vater gekuschelt, der mit ihr auf dem Boden saß. Als die Ansage kam, dass der Besuch zu Ende sei, klammerte sie sich fester an ihn.
„Papa bleibt hier, oder?“ fragte sie leise.
Er nickte nur, streichelte über ihren Rücken, küsste sie auf die Stirn.
„Aber du kommst bald wieder, ja?“ flüsterte er.
Sie nickte.
Als die Mutter kam, nahm sie das Mädchen sanft an die Hand. Der Vater stand auf, wischte sich die Augen mit dem Ärmel ab. Er sagte nichts mehr, nur ein letztes Winken, ein letzter Blick. Dann musste er die Halle verlassen. Das Bild mit den Dinosauriern hielt er in der Hand.
Ich stand immer noch am Rand, als die Halle wieder leer wurde. Es war still. Keine Kinderstimmen mehr, kein Lachen.
Aber für alle Kinder und Väter ein tolles Erlebnis:
Für ein kleines Mädchen, das Papa sagen durfte.
Und für einen Mann, der für einen Moment vergessen konnte, wo er war.
Das Projekt „Spiel mit Mama und Papa“ wird von Children of Prisoners Europe (COPE) organisiert und mit Unterstützung der Europäischen Kommission und der UEFA-Stiftung für Kinder ermöglicht. Es folgt einem Modell, das von Bambinisenzasbarre entwickelt wurde, einem landesweit in Italien tätigen Verein. Ziel des Projekts ist es, die Bindung zwischen Kindern und ihren inhaftierten Eltern zu stärken, zu erhalten und zu intensivieren und systemische, kinderrechtsbasierte Veränderungen im Strafvollzug zu bewirken.
Das Projekt umfasst ein mehrmonatiges Programm, in dem inhaftierte Eltern, ihre Kinder und Familienmitglieder – unterstützt von Pädagogen – begleitet und in eine Reihe von Treffen einbezogen werden. Den Höhepunkt des Programms bildet das „Spiel mit Mama und Papa“-Spiel.
Dieser Artikel wurde von Rita Metzner, Sozialarbeiterin bei Hoppenbank, verfasst.